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MISCHA TUROW

Leseprobe

Der Roman einer Frau, die Genie und Schönheit zu einem Weltstar macht.
Wenige nur kennen ihre verborgene Seite. Zu ihnen zählt ein Mann namens Sergej Iwanowitsch Kutin, Präsident Russlands.

 

von Alexander Günsberg

 

 MISCHA TUROW  

oder die mörderische Suche nach Liebe

 

 

Prolog

 

Mädchen im Alter von fünfeinhalb Jahren spielen gemeinhin mit Puppen, zeichnen Strichmännchen und backen Kuchen mit der Mutter. Man schreibt es jahrtausendealten Gewohnheiten, der Natur und der Erziehung zu. Mischa Turow hatte andere Gewohnheiten. Die Traditionen von Jahrtausenden schienen bei ihr keine Spuren hinterlassen zu haben, zumindest nicht, was die geschlechtliche Prägung ihres Tagesablaufs betraf. Sie zeichnete keine Strichmännchen und buk keine Kuchen und die Erziehung der Mutter blieb im Versuch stecken, konnte nur wenig Einfluss auf ihr Gebaren und ihren Charakter nehmen. Mischa Turows Wesen, schon in diesen jungen Jahren, war von ganz anderen Interessen, Vorlieben und Vorstellungen gekennzeichnet. Die Spiele, die sie spielte, die Gedanken und Ideen, denen sie nachhing, und die Gefühle und Gelüste, an denen sie sich weidete, gingen weit über das hinaus, wozu Fünfjährige in der Regel befähigt sind und was für kindlich gehalten wird. Sie waren aber nicht nur fernab jeglicher Normalität, sondern auch vollkommen gegensätzlicher Art. Einerseits verlangte ihr Geist nach Aufgaben, die andere auch als Erwachsene nicht zu lösen imstande sind, anderseits zwangen sie ihre Triebe zu Handlungen, die man bei Erwachsenen als abnormal oder widernatürlich bezeichnet, sie dafür gar, wenn sie bekannt werden, in ein psychiatrisches Krankenhaus steckt.

 

Was das Geistige betrifft, so hatte sie schon im Kindergartenalter ihren Vater im Schach besiegt, dem schwierigsten aller Denkspiele. Die Anzahl seiner möglichen Züge ist um ein Vielfaches größer als die Zahl aller Menschen, die je die Erde bevölkert haben und sie je bevölkern werden, sogar, wenn die Menschheit noch eine Million Jahre auf der Erde existieren sollte, was äußerst unwahrscheinlich ist. Der besiegte Vater war zudem nicht irgendein Amateur, der die Schachfiguren wie Legosteine auf dem Brett herumschiebt, sondern ein aus Russland stammender Meister der Internationalen Schachföderation FIDE. Er lebte nach der Heirat mit seiner Schweizer Frau und der gemeinsamen Tochter in Zürich. 

 

Ihre Triebe ließ Mischa Turow an ihren Puppen und Stofftieren aus. Sie behandelte sie nicht wie andere Mädchen, kuschelte nicht mit ihnen, sorgte sich nicht um sie, hielt sie nicht für geliebte kleine Schwestern oder zu beschützende Tiere. Nein, sie fühlte sich als ihre unbarmherzige Herrin und Meisterin und tat ihnen absonderliche Gewalt an. Es fällt nicht leicht, die Dinge zu beschreiben, die sie mit ihnen anstellte. Nachdem sie sie an- und ausgezogen hatte, auch Hasen, Bären, Hunde, Katzen, Füchse und Elefanten, und ihnen als gestrenge Lehrerin Welt und Sitten erklärt hatte, ergötzte sich an ihnen, indem sie ihnen zur Strafe für mangelndes Verständnis oder für angebliche Vergehen mit einer Nähnadel, manchmal auch mit dem Brotmesser in die Weichteile stach und ihnen Gliedmaßen und Schwänze ausriss, am Schluss auch noch den Kopf abschnitt. Nach getaner Arbeit, wenn man dieses Tun so nennen kann, kam sie ins Schwitzen, hechelte minutenlang und war von Befriedigung, Erleichterung und Wonne erfüllt. Wenn sie nachts im Bett lag, stellte sie sich noch schlimmere Gräueltaten an ihren unfolgsamen Schülern vor, versuchte gar, sie in die Träume hinüberzuziehen. Oft verwechselte sie in ihrer Lust und Vorfreude die Traumwelt mit der realen Welt, wollte morgens die Augen nicht aufmachen oder schloss sie am Tag, um in die Welt des Traums zu gleiten. Mit der Zeit hatte sie alle ihre Puppen und Stofftiere außer einem zerstört. Es war ein kleiner Affe. Er hatte sie von Geburt an begleitet, war immer an ihrer Brust gelegen, von der der Wiege an. Ohne ihn ging sie nirgends hin, ohne ihn setzte sie sich nicht an den Tisch, ohne ihn schlief sie nicht ein. Sie hatte ihm den Namen Dudu gegeben. Obwohl längst zerfleddert, abgelutscht und dünn und leer wie ein kleiner hohler Sack, klammerte sie sich an Dudu und liess ihn nicht von ihrem Herzen. Er war der Rettungsring im Ozean der Mutter, in dem sie zu ertrinken drohte. Dudu tat sie nie ein Leid an. Sie liebte ihn mehr als sich selbst.

 

Wie ihr Drang zur Bestrafung und Zerstörung von Puppen und Stofftieren lag auch der Ursprung ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten im Schach im Dunkeln. Er entzog sich der Erklärung der Menschen, die nicht mit Freud’schem Verstand gesegnet waren. Niemand hatte ihr je die Regeln und Grundsätze des königlichen Spiels vermittelt. Ihrem Erzeuger, zumindest ihrem physischen, nicht dem, der ihr die guten und bösen Seiten zum zweifelhaften Geschenk gemacht hatte, war entgangen, dass sie sich ihr überragendes Können ausschließlich durch stilles Zuschauen angeeignet hatte, wenn sie, ohne sich zu langweilen oder zu ermüden, viele Stunden lang neben dem Brett gestanden oder gesessen hatte und über die Züge der Erwachsenen anfangs gestaunt, später gegrübelt und am Ende den Kopf geschüttelt hatte. Er begriff nicht, dass bei ihrer Entstehung eine Macht am Werk gewesen war, die seine um Dimensionen überschritt, die sich seinem Verständnis und dem der meisten Menschen entzog, auch derer, die das Mittelmaß des Geistes überschritten. Ganz wenige nur, hätten sie Mischa Turow in ihrer frühen Kindheit erlebt, wären imstande gewesen vorauszusehen, zu welch genialen Leistungen und diabolischen Auswüchsen zugleich sich die in ihr schlummernden Anlagen entwickeln würden und hätten die Menschheit vor ihr warnen können. Doch dies geschah nicht, sodass die Faszination ihres Lebens und das Unheil ihrer Taten, die im Folgenden beschrieben werden sollen, ihren unaufhaltsamen Lauf zu nehmen begannen.

 

Als der überraschende, völlig unerwartete Sieg eines noch nicht sechsjährigen Mädchens gegen einen FIDE-Meister in den einschlägigen Kreisen bekannt wurde, erklärte sich Großmeister Roland Moos, Gewinner der Schweizer Bundesmeisterschaften und Sieger vieler internationaler Turniere bereit, eine Partie unter offiziellen Wettkampfbedingungen gegen sie auszutragen. Dabei räumte niemand der Kleinen auch nur den Hauch einer Chance ein. Es war etwas anderes, gegen einen der führenden Spieler des Landes im grellen, unerbittlichen Rampenlicht der Öffentlichkeit anzutreten, als dem liebenden und nachsichtigen Vater im vertrauten und behaglichen Kinderzimmer der eigenen Wohnung gegenüberzusitzen, auch wenn er FIDE-Meister war. Doch entgegen allen Erwartungen verlor auch der wesentlich stärkere Großmeister die Partie gegen sie. Das erregte Aufmerksamkeit weit über die Schachwelt hinaus. Aber nicht nur die Tatsache, dass ein Großmeister gegen ein Kind, das im Stehen kaum über den Tischrand hinaussah, im schwierigsten aller Denkwettstreite den Kürzeren gezogen hatte, begeisterte die Menschen. Es war die Art, wie sie dieses Kunststück geschafft hatte, die sie in die Schlagzeilen und in aller Munde brachte. Die kleine Mischa Turow hatte sich der Koryphäe weit überlegen gezeigt, den Großmeister mit einer glänzenden, kaum berechenbaren Opferkombination in die Schranken gewiesen, ihn mit einem Geniestreich gedemütigt, ihn geschlagen, als wäre er nicht mehr als ein stümperhafter Anfänger. Die Welt wurde auf ein Genie aufmerksam, das es seit den Zeiten Mozarts nicht mehr gegeben hatte. Wie ein neuer Stern ging das Wunderkind am Himmel auf. Es begann, die Erde mit dem Glanz seiner Strahlen zu erleuchten und verglühte nicht wie die vielen Sternschnuppen, die an einem Ende des Firmaments erscheinen, es durchwandern und an anderen Ende verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen, die darauf hindeutet, dass sie je existiert haben. Die Spur, die Mischa Turow hinterließ, vergrößerte sich unablässig und stand klar und deutlich am Himmelsbogen. Es war jedoch nur die Spur des Genies. Vom Teufel, der in ihr wohnte, war im strahlenden Blau nichts zu sehen.

 

Die ungewöhnliche Schachpartie zwischen dem Großmeister und einem fünfeinhalbjährigen Kind hatte im Schachclub Zürich stattgefunden. Die Zuschauer - in beträchtlicher Zahl erschienen - staunten über alle Maßen, konnten nicht glauben und schon gar nicht begreifen, was sie zu sehen bekamen. Denn die meisten Menschen sehen nur das, was die Augen ihnen zeigen. Es dringt nicht in ihre Gehirnwindungen vor. Nie zuvor hatte ein so junges Geschöpf derartiges Talent auf den zweiunddreißig weißen und den zweiunddreissig schwarzen Feldern demonstriert. Zudem war es ein Mädchen, das ihr geliebtes Spiel vor ihren Augen in nie geahnte Höhen hob, eine Vertreterin des schwachen Geschlechts, das dem männlichen von Geburt und Anlage her unterlegen ist, wie viel von ihnen bis dahin dachten. Wenn der Verstand nicht über den Brettrand hinausreicht, muss ein Feuer es entzünden, um die Neuronen wenigstens für kurze Zeit zum Glühen zu bringen. Die kleine Mischa Turow entfachte dieses Feuer. Die Leute kamen ins Schwärmen, als sie völlig unerwartet «Matt in sieben Zügen» rief und der Großmeister wie vom Blitz getroffen dasaß, nach Auswegen suchte, die er nicht mehr fand und sein Schicksal beklagte. Sie selbst zogen mit ihren Figuren auf dem Schachbrett herum, als wollten sie Napoleon besiegen, schafften es aber auch in ihren besten Partien nur, ein paar seiner Infanteriestellungen zu zerstören und erlagen schließlich dem Gegenangriff seiner Reitertruppen und Kanoniere. In die wahren Geheimnisse des Spiels waren nur wenige von ihnen eingedrungen und auch sie gelangten nicht einmal an den Fuß des Feldherrnhügels, auf dem das kleine Mädchen hochaufgerichtet stand und lachte. Besser als Napoleon, Alexander oder Cäsar befehligte sie ihre Soldaten und Offiziere. Die Ausstrahlung, die von ihr ausging, kam aber nicht nur von ihrem Schachgenie, sondern auch von ihrem Liebreiz und ihrer ganzen Wesensart. Es war kein hässliches und scheues Mädchen, das da am Schachtisch vor ihnen triumphierte und dem Großmeister eine Lektion erteilt hatte, sondern ein hübsches und aufgewecktes Mädchen, das jeden Zug mit Scherzen und Bonmots begleitete. Sie machte Schach zu einem Schauspiel der besonderen Art. Keine Komödiantin hätte es besser gekonnt.

 

Als die Zuschauer dann noch erfuhren, dass die kleine Mischa Turow die Kenntnisse und Fertigkeiten im Spiel der Spiele nie erlernt hatte, dass sie nicht von einem Lehrer in die Varianten, Strategien, Taktiken und Kombinationen eingeführt worden war, die zahlreicher als die Sandkörner aller Strände der Welt sind, sondern sie sich allein durch Zuschauen und Nachdenken angeeignet hatte, wandelte sich ihre Bewunderung zu Vergötterung. Pallas Athene war wieder auferstanden. Die Neue Zürcher Zeitung brachte einen groß aufgemachten Artikel über sie, obwohl sie die Schachrubrik, die viele Jahrzehnte bestanden hatte, eben erst eingestellt hatte. Das Interesse der Leser an Schach war mit einem Schlag wieder erwacht. Es waren aber bei weitem nicht nur Schachfreunde, die das Ereignis beklatschten. Es war von solcher Tragweite, dass es alle in seinen Bann zog, die an Wunder glauben statt an die Fähigkeiten, die im Menschen schlummern. Wer sie aus dem Tiefschlaf weckt und scheinbar Einzigartiges leistet, egal auf welchem Gebiet, löst ihre Verherrlichung und Bewunderung aus, auch wenn sie sonst der Sache wenig abgewinnen können und nicht imstande sind, ihr Gehirn zu mehr als zu zum Geldverdienen und zu Geschwätz zu verwenden. Man nannte die kleine Mischa Turow bereits ein Jahrhunderttalent.

 

Eigentlich ist Mischa ja ein Männername, aber ihre Mutter, eine geborene Ella Kronberg, war die, der Religion gänzlich abgekehrte Tochter des strenggläubigen und bassgewaltigen Kantors der großen Synagoge der Stadt. Ihre Abwendung von der strikten Befolgung der göttlichen Gesetze war im Konflikt mit den Eltern, aber auch in den Versuchungen begründet, die sich jungen Menschen an jeder Ecke Zürichs boten. Sie hatte sich in den, in der Hierarchie der russischen Schachspieler nicht sehr weit oben stehenden Charmeur und Tunichtgut Maxim Grigorewitsch Turow verliebt. Er war zu einem internationalen Turnier nach Zürich gekommen, bei dem er wie so oft unter den Erwartungen abschnitt. Nach einer verlorenen Partie gegen den schon genannten Roland Moos, der damals noch nicht Großmeister, aber bereits einer der stärksten Schweizer Spieler war, hatte er sie in einem Café angelächelt. Seine Talente in Bezug auf Frauen standen ohne Zweifel über denen am Schachbrett. Sie war seinem Charme, seinem Witz und seiner Heiterkeit erlegen und flog nach dem Turnier zu ihm nach Russland, wo sie ihn heiratete, sehr zum Ärger der Eltern. Sie sahen in ihm nichts als einen Landstreicher, dem es gelungen war, auf einen Schnellzug in die materielle Sicherheit der Schweiz aufzuspringen. Damit hatten sie nicht Unrecht, denn nach der Heirat und der Übersiedlung nach Zürich sah ihn seine junge Ehefrau kaum noch. Angeblich war er ständig auf Schachturnieren. In Wirklichkeit trieb er sich herum, fand weitere Bewunderinnen, die ihm ihr Geld vor die Füße warfen und verstand es meisterhaft, seine Eskapaden zu verbergen. Von seinem Judentum wusste er noch weniger als Ella. Die Religionsfeindlichkeit der untergegangenen Sowjetunion und die Massenhinrichtungen Stalins in den Dreißigerjahren, die später Großer Terror genannt wurden, kosteten auch seinen Eltern, verdienten Funktionären der KPdSU, das Leben, sodass sie das Wenige, das sie selbst noch vom Judentum wussten, ihrem Sohn nicht weitergeben konnten.

 

Auch wenn Mischas Mutter nichts von den Seitensprüngen ihres Ehemannes wusste oder vielleicht auch nichts davon wissen wollte, so litt sie doch sehr unter der Vernachlässigung durch ihren Mann. Instinktiv spürte sie, dass er ihrer übertriebenen Zuwendung und Fürsorge überdrüssig geworden war und sie nicht mehr begehrte wie vor der Hochzeit und in den ersten beiden Jahren ihrer Verbindung, als sie Russland gelebt hatten. Um ihren Kummer zu überwinden, überhäufte sie von da an ihre Tochter mit Liebesbekundungen. Damit bewirkte sie jedoch auch bei ihr nur Abwendung und Widerstand. Sie hatte ihr den Namen Michaela gegeben, rief sie aber mit dem, in nichtslawischen Ländern durchaus weiblich klingenden Kosenamen Mischa, der in Russland ein Männername ist. In Mischas russischem Pass, sie besaß ihn zusätzlich zum schweizerischen, da sie in Russland zur Welt gekommen war, stand ihr richtiger Name. Er lautete Michaela Wolfowna Turowa.

 

Im Alter von zwei Jahren war sie mit den Eltern in die Heimatstadt der Mutter an der Limmat gezogen, dorthin, wo Ulrich Zwingli und Leo Jud Anfang des sechzehnten Jahrhunderts das Zölibat im Christentum abgeschafft und damit im Gegensatz zum pädophilen Papst Julius II standen, dem vormaligen Kardinal von Lausanne. Um den Anschein des Zölibats zu wahren und es seinen Priestern weiterhin aufzuzwingen, heiratete er keine seiner jungen Gespielinnen, mit denen er drei Töchter gezeugt hatte. Er sollte denn auch an der Syphilis sterben. An einem, von Astrologen bestimmten Tag hatte er sich auf den Papstthron gesetzt, nachdem er seinen letzten Widersacher Cesare Borgia getötet hatte, den nach dem König höchsten Adeligen Frankreichs. Sofort begann er mit Eroberungskriegen, hatte nicht umsonst den Namen Julius Cäsars’ gewählt. Hoch zu Ross führte seine Truppen in blutige Schlachten gegen Frankreich und Venedig. Zur Verstärkung hatte er sich ungeachtet der Zölibatsdifferenzen mit der Eidgenossenschaft und dem römisch-deutschen Kaiser Maximilian I von Habsburg verbündet. Sein Herrschaftsgebiet dehnte er weit nach Norden aus, bis zum Po hinauf, und erstellte in den eroberten Gebieten private Paläste aus den Einnahmen seiner Diözesen. Man kann sich vorstellen, was er darin trieb, während seine Inquisitoren Menschen zu Tausenden auf grausamste Art folterten und töten, als Hexen, Ketzer und Juden. Von christlicher Nächstenliebe war nichts zu spüren. Martin Luther, Zwinglis und Juds Zeitgenosse in deutschen Landen, nannte ihn einen Blutsäufer. Dem Volk galt er als der Schreckliche. Zum Zeichen seiner Macht begann er mit den Bau der größten Kirche der Welt, dem Petersdom im Vatikan. In den Aufzeichnungen Michelangelos, dem Schöpfer der Sixtinischen Decke, dem vielleicht bedeutendsten Kunstwerk aller Zeiten, ist zu lesen, wie sehr er unter seinem Peiniger litt. Zu seinem persönlichen Schutz gründete er die Schweizergarde, denn die Schweizer waren als die grausamsten Söldner des Kontinents bekannt. Sie mordeten bedenkenlos jeden für Geld. Finanziert wurde es durch den Ablassverkauf. Die Menschen konnten sich von ihren Sünden freikaufen und hemmungslos weitersündigen. Alles geschah zum Wohl der Kirche und des Papstes.

 

Ziemlich genau ein halbes Jahrtausend später erlernte Mischa Turow als Kind rasch und ohne Mühe Züridütsch, hatte nur noch Schweizer Freundinnen und begann, sich genauso als Schweizerin wie als Russin zu fühlen, obwohl sie mit dem Vater zu Hause und wenn sie ihn zu Schachturnieren begleitete, ausschließlich Russisch sprach. Auch in späteren Jahren hätte sie nicht sagen können, ob ihr die Mutter- oder die Vatersprache näherstand. Beide beherrschte sie so gut, dass man sie weder in der Schweiz noch in Russland für eine Fremde hielt.

 

Doch nicht nur in der Neuen Zürcher Zeitung überschlugen sich die Berichterstattungen und Kommentare der Journalisten vor Superlativen über das neu entdeckte Schachwunderkind. Sogar der New York Times war die Sensation, dass ein kaum den Windeln entwachsenes Mädchen einen europäischen Landesmeister im Schach besiegt hatte, einen ganzseitigen Artikel wert. Sie schrieb von einem ‘5 year old swiss-russian girl with built-in chess computer’ - einem 5-jährigen schweizerisch-russischen Mädchen mit eingebautem Schachcomputer.

 

Seit die Weltpresse erstmals von ihr Notiz genommen hatte, waren nun achtzehn Jahre vergangen. Sie war zu einer blendend aussehenden jungen Frau herangewachsen, die aber nicht nur die Klatschmagazine füllte und die Schachwelt in Atem hielt, sondern deren Entdeckungen auf dem Gebiet der Physik die Menschheit um Quantensprünge voranbrachte und den Horizont des Denkens in einem Maße erweiterten, wie es im Zeitalter der weltumspannenden Kommunikation und der beginnenden Eroberung der Planeten nicht für möglich gehalten worden wäre. In ihrem Wesen waren Klugheit, Schönheit und Anmut nahezu perfekt vereint, wäre da nicht eine Kleinigkeit gewesen, von der noch die Rede sein wird. Vor einem Jahr hatte sie den Doktor in Physik gemacht und war sofort, im Alter von nur vierundzwanzig Jahren, als ordentliche Professorin an den eigens für sie geschaffenen Lehrstuhl für dynamische Teilcheninterferenz, abgekürzt DTI, an die Universität Wien berufen worden, ein Aufsehen erregendes Novum in der universitären Welt. Ihre Dissertation über die dynamische Wechselwirkung der kleinsten, subatomaren Bestandteile der Elementarbausteine und die daraus entwickelte Dynamotheorie, bald nur noch als Turow‘sche Theorie bezeichnet, die das Rätsel bisher unerklärter Phänomene und Wirkungsweisen löste und der Technik, insbesondere der Weltraumfahrt ungeahnte Möglichkeiten öffnete, hatte in allen Fachblättern und bei den wichtigsten Symposien in allen Teilen der Erde Furore gemacht. Von der Fachwelt wurde ihre Theorie in der Bedeutung für die Erkenntnis der physikalischen Zusammenhänge und künftiger Entwicklungen in eine Reihe mit Albert Einsteins allgemeiner und spezieller Relativitätstheorie, Werner Heisenbergs Unschärferelation und Wolfgang Paulis Quantenmechanik gestellt. Sie bekam Einladungen zu Vorträgen an den führenden Lehranstalten und Forschungsinstituten der Welt, von Toronto bis Tokio und von Oslo bis Kapstadt. Sie nahm jedoch nur wenige an, da sie auch weiterhin Zeit für die Beschäftigung mit Schach und einer ungewöhnlichen Passion haben wollte, von der in diesem Buch ausführlich berichtet werden wird. Für das breite Publikum, für die Menschen, deren Kenntnis der Physik sich auf die oft und lapidar zitierte Feststellung frei nach Einstein beschränkt, dass alles relativ ist, womit sie unzweifelhaft relativ Recht haben, ohne zu verstehen warum, war sie längst zu einer Ikone geworden.

 

Im Schach hatte sie schon während des Studiums, für das sie anders als die meisten ihrer Kommilitonen kaum Zeit aufwenden musste, den Sprung an die absolute Weltspitze geschafft. Sie hatte fast alle Turniere gewonnen, an denen sie teilgenommen hatte, war Meisterin der Schweiz und Österreichs geworden, hatte den Großmeistertitel der Frauen und den noch höher bewerteten der Männer erworben und sich für die Wettkämpfe zur Ermittlung der Herausforderin der amtierenden chinesischen Weltmeisterin qualifiziert, die in einem halben Jahr bevorstanden. Die Siegprämien und Werbeverträge, aber auch die Tantiemen aus der Veröffentlichung ihrer Dissertation, die zu einem Standardwerk der Physik geworden war und in keiner Universität oder wissenschaftlichen Bibliothek fehlen durfte, ermöglichten ihr ein komfortables und sorgenfreies Leben.

 

An ausgesuchter Lage, in einer der nicht gerade billigen Seitengassen des Wiener Grabens, wo sich nur die Wenigsten eine feste Bleibe leisten können, mitten im ersten Bezirk, im Zentrum der wiedererstehenden Donaumetropole, bewohnte sie ein luxuriöses Penthaus mit hohem Glaskuppeldach und exotisch bepflanztem Dachgarten. Von ihm aus bot sich ein überwältigender Ausblick auf die Monumente, Kirchen und neuerbauten Hochhäuser der Stadt im Wandel zur Moderne, deren Zeugnisse der Vergangenheit wie Kunstwerke großer Meister aus den gesichtslosen Beton- und Glasburgen herausstachen. Die Wege zur Universität, zu den physikalischen Instituten, dem Labor des multinationalen Konzerns, in dem sie nebenberuflich für ein mehr als erkleckliches Honorar arbeitete, zur Oper und den Theatern und Cabarets, die sie liebte und besuchte, sofern sie Zeit dazu fand, konnte sie bequem zu Fuß zurücklegen.

 

Aus dem Grund, der schon dargelegt wurde, ihr selbst aber wahrscheinlich verborgen blieb, pflegte sie zu den in der Schweiz lebenden Eltern nur den notwendigsten Kontakt, etwa wenn es darum ging, zu Geburtstagen oder anderen Anlässen zu gratulieren oder ihrem um acht Jahre jüngeren Bruder die private Handelsschule zu bezahlen. Er hatte die Mindestnoten bei den Prüfungen in der öffentlichen Schule nicht erreicht und war wegen wiederholten Versäumen des Unterrichts und beleidigenden Äußerungen den Lehrern gegenüber der Schule verwiesen worden war. Steuergelder können besser eingesetzt werden als zur Finanzierung der Ausbildung von Leuten, die sich nicht ausbilden lassen wollen und ihre Lehrer Kapitalistenschweine nennen. Michael war trotz der Namensgleichheit mit ihr bis auf wenige Charaktereigenschaften, die sie gemeinsam hatten, von gänzlich anderem Wesen und Aussehen als sie. Wenn man die seltsamen und befremdlichen Gemeinsamkeiten nicht kannte, die sie verbanden, hätte man sie nie und nimmer für Geschwister gehalten. Sein Intellekt war dem ihren nicht nur weit unterlegen, auch sein Äußeres war ihrem nicht vergleichbar. Für die sorgende und liebende Mutter – auch ihn hatte sie seit seiner Geburt verhätschelt und ins Gefängnis ihrer Liebe eingeschlossen - war er immer der Schönste auf Erden gewesen. Für alle anderen aber war er das genaue Gegenteil davon. Von gedrungener Gestalt, stark übergewichtig, breitschultrig und stiernackig, der übergroße, runde Kopf ragte beinahe ansatzlos aus dem Oberkörper heraus, ohne dass man einen Hals hätte erkennen können, die langen, ungezähmten blonden Haare hingen in wilden Strähnen an ihm herunter, glich er mehr einem zu klein geratenen Neandertaler als einem Homo Sapiens, geschweige denn dem  Adonis, den die Mutter in ihm sah, weil er die Frucht ihres Leibes und ihrer vergeblichen Liebe war und es trotz allem Bösen, das er trieb, immer bleiben sollte.

 

Während Michael geizig, misstrauisch, abweisend, verschlossen und nur selten zu Scherzen aufgelegt war und sich nicht verstellen konnte, verstand es Mischa, als freundlicher und offenherziger Mensch aufzutreten und so zu tun, als würde sie jedermann Vertrauen entgegenbringen und unbeschwerte Heiterkeit ausstrahlen. Die sie persönlich kannten, hielten sie für ein geselliges Wesen, allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, tolerant Andersartigen und Andersdenkenden gegenüber, den Mitmenschen Respekt und Achtung erweisend, auch all den vielen, die ihr an Geist, Witz und Schönheit um viele Dimensionen unterlegen waren. Den über ihren wahren Charakter Uneingeweihten mag sie wie eine schillernde Blume vorgekommen sein, die hochaufgeschossen aus dem monotonen Grün des Grases herausragte, das bis zum Horizont reicht. Was die beiden ungleichen Geschwister verband, war die Ablehnung der Eltern, insbesondere der Mutter.

 

Um ihren beiden Kindern Ausbildung und Studium zu ermöglichen und ihr Mann nichts dazu beitrug, sondern sich herumtrieb und in den Schachclubs und bei Schachturnieren im Gegensatz zu seiner Tochter außer neuen Frauenbekanntschaften nie etwas gewann, arbeitete Ella als Krankenschwester im Spital mehr als alle anderen und schob zusätzliche Nachtschichten ein, was ihrem Äusseren nicht zuträglich war und ihren Mann noch weiter von ihr wegtrieb.

 

Viele schrieben die ihnen unerklärliche Abneigung der Turowschen Kinder den Eltern gegenüber der Natur zu. Es stimmt, dass die Natur oft unbegreiflich und grausam ist. Michaela und Michael aber, so voneinander verschieden sie sich gaben, hatte weder die Natur, noch übertriebene Mutterliebe zu dem gemacht, was sie waren. Vielmehr steckte der Teufel der Unbefriedigtheit in ihnen. Er forderte seine Opfer und ließ sich auch in späteren Jahren nicht aus ihnen vertreiben.

 

Der uneingeweihte, aber doch aufmerksame Beobachter hätte in diesem Zusammenhang bemerkt, dass die äußerlich und vom Intellekt her so divergierenden, in der Seele aber sich wie ein Ei dem anderen gleichenden Geschwister, der hässliche und primitive Michael und die hübsche und differenzierte Mischa, eine Vorliebe fürs Skurrile, um nicht zu sagen, fürs grauslich Absonderliche teilten. Wie viele Männer war Michael ein Sammler. Doch trug er nicht Briefmarken, Mokkatassen, Bierdeckel oder Miniatureisenbahnen zusammen, wie andere es taten, nein, seine Leidenschaft galt Totenköpfen. In jeder Form und in jeder Größe nannte er sie sie sein eigen, vom makabren Schlüsselanhänger über totenkopfförmige Vasen bis hin zu Schädeln, deren Träger auf natürliche oder unnatürliche Art zu Tode gekommen waren, was ihm vollkommen egal war. Er erwarb die Objekte seiner Begierde bei zwielichtigen Händlern, auf Flohmärkten und Basars, in Antiquitäten- und Kuriositätengeschäften, in Zweithandläden und an sonstigen Orten, wo sie für kleines Geld neben anderen grotesken Unnützlichkeiten und Abscheulichkeiten feilgeboten wurden. Für einen guterhaltenen Schrumpfkopf aus Borneo, an dem sich noch Haut, Haare und Ohren befanden, hatte er einmal sein ganzes Erspartes auf den Tisch des Verkäufers gelegt, einem Mann, der für Geld nicht gezögert hätte, seine eigene Mutter zu verkaufen.

 

Seine Preziosen, die menschgewesenen ebenso wie die von Menschenhand geschaffenen, pflegte und behütete Michael, als wären sie lebende Subjekte, fuhr mit der Hand zärtlich über sie, führte sie bisweilen gar an die Lippen und küsste sie. Seine offen gezeigte Passion fürs Anstoß-, ja Ekelerregende war Ausdruck von grenzenloser Selbstüberschätzung, Verachtung aller gesellschaftlichen Konventionen und Ablehnung jeder mitmenschlichen Rücksichts- und Anteilnahme. Seine oberste Lebensmaxime war die ungehemmte Befriedigung seines Egos, wenn er dabei auch nicht ganz so weit ging wie seine Schwester.

 

Ihre Bühne fürs Widerwärtige, in ihrer Welt der Gipfel der Lust, den zu erklimmen sie unablässig suchte, war das Schlafzimmer ihrer Wohnung. Die Vorhänge blieben Tag und Nacht zugezogen, um niemandem auch nur den kleinsten Blick auf das zu gewähren, was sie darin trieb. Da sie wie ihr Bruder, auch diese unrühmliche Eigenschaft teilten sie, zu keinen tiefergehenden Gefühlen fähig war, zumindest nicht, wenn sich die so heiß ersehnte, doch kaum gekannte Liebe nicht in ihr entzündete, sondern einem besitznehmenden Sexualtrieb verfallen war, nahm sie ohne Umschweife nach bestimmten Kriterien in Kaffeehäusern oder Bars aufgegabelte Männer schon nach dem ersten flüchtigen Kennenlernen nach Hause mit, um sie vor und während des Paarungsaktes als unterwürfige Sklaven zu malträtieren und sich an ihren Qualen und Schmerzen zu erregen. Wehr- und willenlos ans Bett gefesselt, fügte sie ihnen bluttriefende Verletzungen mit der Peitsche, den Bleistiftabsätzen ihrer nur bei dieser Gelegenheit getragenen hochhackigen Schuhe, mit brennenden Zigaretten oder ganz direkt mit der Hand und den Fingernägeln zu. Nur auf diese Weise gelangte sie zu geschlechtlicher Befriedigung.

 

Keine ihrer Freundinnen, Kolleginnen an der Fakultät, Schachspieler oder sonstigen Bekannten, ganz zu schweigen von Journalisten, die damit fürstlich honorierte Schlagzeilen hätten machen können, wusste um ihre abartige und gefährliche Passion. Sie war zur unheilbaren Sucht geworden, zwang sie, ständig neue willfährige Männer zu suchen und sie zum einmaligen Missbrauch mitzunehmen. Danach verbot sie ihnen jede weitere Kontaktnahme aufs Strengste, drohte mit einer Anzeige bei der Polizei wegen Vergewaltigung, sollte es einer doch wagen. Ausschließlich wildfremde Männer wählte sie aus, solche, die sie nie zuvor gesehen oder getroffen hatte und die nicht zu ihrem Freundes-, Berufs- oder Bekanntenkreis gehörten. Kam auch nur der leisesten Verdacht in ihr auf, der Mann, der ihr mit feuchten Händen,  glotzenden Augen und bebendem Herzen erwartungsvoll gegenübersaß, könnte mit irgendjemand aus ihrer weitläufigen Entourage bekannt sein, so beendete sie das Rendez-vous unverzüglich, zahlte und ließ den völlig Rat- und Verständnislosen ohne jede Erklärung mit einem knappen Nimmerwiedersehensgruß zurück. Es gab genug andere Kandidaten für ihre Folterabenteuer. An schwachen Männern fehlte es nicht, die für die Aussicht auf Kopulation mit einer Frau wie ihr zu allem bereit waren.

 

In den Restaurants und Bars wäre es ihr nie eingefallen, die für ihre Zwecke Ausgesuchten die Rechnung übernehmen oder sich von ihnen einladen zu lassen. Sie war es, die das Zepter in ihren einmaligen geschlechtlichen Beziehungen ohne Zahl in der Hand hielt. Jedes anschließende Zusammensein in ihrer Wohnung lief gleich ab. Es begann mit dem Pfeifen und Zischen der Lederknute, die die Luft in Scheiben schnitt, und endeten mit Mischas orgiastischem Schreien, wenn der gepeinigte, blutende und ans Bett gefesselte Mann sich vor Schmerzen wand und wie ein wimmerndes Tier hilf- und wehrlos vor ihr lag. Für die meisten der Männer war diese Art der sexuellen Beziehung, die Erniedrigung, die sie erfuhren, die Qualen, die Mischa ihnen zufügte, genau wie für ihre Peinigerin die einzige Möglichkeit, zum Gipfel der Lust zu gelangen. Mischa erkannte diese Gattung Mann schon beim Eintritt in ein Lokal, egal wie alt oder jung sie waren und ob er Anzug und Krawatte oder Jeans und Pullover trugen. Ihr Gespür für Opfer war untrüglich. Er glich dem Geruchssinn eines Hundes. Sie fand Bestrafung und Schmerz Suchende in der Menge, so wie ein Hund Verirrte und Verschüttete findet.

 

Ihre Freunde und die vielen, nicht als Objekt ihrer Lusterfüllung geeigneten Männer hingegen, die sich um die Gunst der schönen Frau bemühten, hatten keine Ahnung von ihrem Treiben und empfanden sie als auf Abstand bedachte, unnahbare Frau. Sie schien eine Festung zu sein, die jedem Angriff standhielt. Einige munkelten, sie sei frigide, andere vermuteten, sie würde zur Beförderung ihre Karriere auf Privatleben vollständig verzichten oder sie hätte einen heimlichen Geliebten, eventuell gar eine verheimlichte Freundin, der sie gleichgeschlechtlich verbunden war. Anders konnte sich niemand den Widerspruch zwischen ihrem aufgeschlossenen Wesen und ihrer Weigerung erklären, sich mit einem Mann in einer über die Freundschaft hinausgehenden Beziehung zu verbinden. Wieso sollte ausgerechtet die Schönste, Klügste und Begehrenswerteste der besten Gesellschaft Wiens alleine bleiben und auf das Glück der Liebe verzichten, gerade die, die bei jedem Anlass der unbestrittene Mittel- und Glanzpunkt war? Schon wenn sie durch die Tür kam, richteten sich die Blicke aller auf sie. Sie nahm es ganz selbstverständlich hin, weder war es ihr unangenehm, noch war sie stolz oder eingebildet darauf. Es gehörte einfach zu ihrer Person wie ihre Haut oder die schlichten, unauffälligen Kleider, die sie im Alltag trug. Sie wusste um ihre außerordentlichen Qualitäten, sowohl um die inneren wie um die äußeren, hob sie jedoch weder hervor noch suchte sie sie zu verbergen. Gerade dieses unprätentiöse Auftreten bescherte ihr die Sympathie der Öffentlichkeit, aber auch all derer, mit denen sie Umgang pflegte. Keiner ahnte, dass Jekyll und Hyde in ihr wiedererstanden waren.

 

Obwohl sie Jüdin war, wenn auch keine praktizierende, ebenfalls eine Tatsache, die sie weder verbarg noch betonte - es war für sie gänzlich unwichtig -  glich sie in ihrer gespaltenen Persönlichkeit viel eher einer griechischen Göttin, die im Olymp die Edle und Hehre mimt, auf der Erde aber ohne Rücksicht und Skrupel auf die ungehemmte Befriedigung ihrer weiblich-egomanen, männerfressenden Lüste aus ist.

 

Zwar wusste sie um den Einfluss ihrer während zweitausend Jahren mit dem Studium der heiligen Schriften beschäftigt gewesenen Vorfahren auf ihren überragenden Geist, doch nahm sie dies als schicksalsgegeben hin, zumal sie sich nicht im Geringsten für Vergangenes oder geschichtliche Zusammenhänge interessierte, auch dann nicht, wenn sie ihre eigene Herkunft und den Ursprung ihrer Intelligenz betrafen. Wie vielen mathematisch und naturwissenschaftlich orientierten Menschen war ihr allein die Zukunft wichtig. Nie hätte sie sich eingestanden, dass sie dabei war, das Gute, das ihr vom Schöpfer geschenkt worden war, dem Bösen unterzuordnen, das ihr der Teufel eingeimpft hatte. Es war das genaue Gegenteil von dem, was ihre Ahnen gelebt hatten und wofür sie gestorben waren.

 

In wissenschaftlicher Hinsicht galt es Mischa, dem Menschen durch technischen Fortschritt einen das Leben erleichternden Weg in die Zukunft zu ebnen, allerdings durch einen Fortschritt, wie sie ihn sah. Darin spielten das Mystische, alles, was ihr rational nicht erklärlich war, und die darin verborgene Faszination keine Rolle. Ebenso hielt sie es mit dem Gestern und dem Vorgestern, mit dem Gewesenen, dem für immer Vergangenen, dem Passato, wie sie es verächtlich bezeichnete. Dieses konnte nicht mehr geändert werden und lohnte daher der Betrachtung nicht, davon war sie überzeugt, ebenso wenig wie die Beschäftigung mit Religion, Poesie oder anderen sich objektiven Erklärungen und Analysen entziehenden Auswüchsen des menschlichen Geistes. So nannte sie die Phänomene, die nicht in den Gitterkäfig der Naturwissenschaften passten, die sie selbst konstruiert hatte. Er war es, der ihr die Sicherheit ihrer Existenz gab, die Gewissheit, alles zu beherrschen, alles zu überschauen, ihr Schicksal in den eigenen Händen zu halten, nicht in die bodenlose Tiefe der Unsicherheit zu fallen, von Unwägbarkeiten und Mächten abzuhängen, die sich ihrem Verständnis und ihrem Einfluss entzogen. Wer aus dem schützenden Käfig der Wissenschaften hinaustrat und sich in die Sphären des Transzendentalen und mathematisch nicht Erklärbaren begab, verfing sich in ihren Augen in einem Netz von Spekulationen, einem Labyrinth von Wahnideen, einem Corso des Irrealen, aus dem kein Weg mehr zurück in die Welt der Wirklichkeit und Logik führte, die allein für sie zählten. Sie verschwendeten aus ihrer Sicht sinnlos die kurze Spanne Zeit, die ihnen bis zum Tod blieb und die sie besser dafür nutzen würden, zur Erkenntnis des real Bestehenden zu gelangen und, falls sie dazu in der Lage waren, die Menschheit voranzubringen. Dies war einer der wenigen, aber entscheidenden Irrtümer ihres sonst so treffsicher urteilenden Verstands. Was sie für Sicherheit hielt, war nichts als ein Gedankengebäude, dessen Pfeiler, Wände und Decken es zwar zusammenhielten, dessen Fundament aber in sandigem Boden steckte. Auch das bestgebaute Haus bleibt darauf nur solange stehen, bis er ins Rutschen kommt. Wie viele den Idealen der Naturwissenschaften Verfallenen war sie eine Gefangene von Regeln und Formeln, die die Welt zu erklären versuchen, ohne in sich zu fühlen, was sie beseelt. Denn nur, wer die Welt in seinem Inneren trägt, erkennt ihre Schönheit und den Sinn der Schöpfung und vergeht sich nicht an ihr. Das ist das einzig beständige Fundament des Gebäudes, das man Menschtum nennt.

 

Kapitel 1

 

Februar in Wien, ein besonders eisiger in diesem Jahr. Gefrorener Schnee auf den Straßen und Trottoirs, grau und schmutzig. Straßenbahnräder kreischen in den Schienen. Keine Sonne, verhangen und düster der Himmel. Kaum vermag der Schein der Laternen das neblige Halblicht aufzuhellen. Daneben, in der ausgefransten Schwärze, ist nichts auszumachen. Schemenhaft huschen Menschen vorbei, eingemummt in dicke Wintermäntel, Wollschals um die Ohren. Schwaden des aus den Lungen geblasenen Kohlendioxyds ziehen durch die Luft. Riechen kann man sie in der schneidenden Kälte, muss höllisch aufpassen, nicht auszurutschen, sich ein Bein zu brechen oder die Rippen. Es kracht. Bremsen quietschen. Blech schrillt auf, verzahnt sich ineinander. Geschrei, Gezeter, Karambolagen. Polizei- und Rettungswagen. Sirenen gellen durch den Nebel, Martinslichter blinken, tauchen die Szene in wirres Geflacker. Hochbetrieb herrscht in Spitälern und Unfallkliniken. Das aber mindert den Reiz der Ballsaison nicht. Sie schert sich nicht um Wetter, Streit und Unfälle, um all das, was außerhalb der heiligen Hallen der Wiener Staatsoper oder in den Wein- und Biersälen geschieht, an denen in der alten Kaiserstadt kein Mangel ist. Dort schwingen Beine, Brüste heben und senken sich, Lippen und Zungen finden sich und Hände tun das, was sonst nur in Schlafzimmern erlaubt ist.

 

Opernball, unbestrittener Glanz- und Höhepunkt der rauschenden Zeit! Wie in jedem Jahr seit den Zeiten des Wiener Kongresses, mit Ausnahmen nur der Kriege wegen, ist das Haus am Kärntnerring, der nach dem Hitlerschen Wüten wiedererrichtete Prachtbau, auch heuer wieder in die schönste Walzerbühne der Stadt umgebaut worden. Ein Meer roter und weißer Rosen schmückt Parkett und Ränge, Säulen, Logen und Balkone. Herausgeputzt und ausstaffiert worden ist der hehre Ort für den Event des Jahres, an dem sich die oberen Zehntausend Wiens und der Welt ein Stelldichein geben, begleitet und umrahmt von Berühmtheiten von Hollywood bis Cinecittà. Eine Augenweide, wie man in der Donaumetropole sagt. In siebzig, bis ins kleinste Detail festgelegten Stunden nach der letzten Vorstellung - Mozarts Zauberflöte - ein spanischer Tenor hatte mit dem Getriller des Papageno das Publikum zu Begeisterungsstürmen hingerissen - war eine, das ganze Parterre ausfüllende Tanzfläche aus Edelholz entstanden, größer als jede andere in Wien. Seit 1815, als Napoleon zum zweiten Man niedergerungen, in der Schlacht bei Waterloo endgültig besiegt worden war und die großen Fünf Europas, der Zar aller Reußen, der österreichische Kaiser und die Könige Preußens, Britanniens und Frankreichs sich in Wien trafen, um über die Aufteilung und Neuregelung seines zerbrochenen Reiches zu beschließen, hatte der Hochadel Europas hier getanzt und so manches neue Bündnis geschlossen. Neun Monate lang waren die mächtigen, wiedereingesetzten Regenten mit ihrem Gefolge in Wien geblieben. Die Stadt wurde zum glanzvollen Mittelpunkt des Erdkreises. Köche, Vorkoster, Schneider, Lakaien, Kutscher, Kindererzieher und andere Bedienstete ohne Zahl aus ihren weit entfernten Schlössern und Palästen hatten sie mitgenommen, viele Tausend. Allnächtlich feierten sie Feste, wie man sie nie und nirgends zuvor gesehen hatte. Schon damals aber hatte der Opernball alles überstrahlt, was an Rausch und Glorie das Leben der Fürsten und Noblessen blendete.

 

Nach dem, von Fanfaren begleiteten Einzug des Bundespräsidenten – der Kaiser wäre unendlich viel würdiger gewesen – wer bedauert seine Abwesenheit nicht - werden hundertsechzig Paare, jung und strahlend, den Abend eröffnen, in Frack und langen Abendkleidern, zu den Klängen von Strauss, Ziehrer und Chopin. Alles wartet darauf, ungeduldig und erregt. Die Wiener Philharmoniker sind bereit, ein Orchester von Gottes Gnaden, jedes Mitglied Professor und Solist Euterpes. Aus allen Ländern sind sie gekommen, die Reichen und Schönen, um dem Ereignis beizuwohnen, das seinesgleichen nicht hat in der Welt, zu sehen, wie die besten Tänzer und Tänzerinnen Wiens im Gleichklang durch die Lüfte fliegen, zu hören, wie Mozarts und Beethovens Meistereleven überirdische Klänge in die Sphären zaubern, wie ein Rausch sie überkommt, der nur hier möglich ist, in diesem Saal und an diesem Abend. Einzigartig ist die Stimmung, ein Zauber, der mit nichts zu vergleichen ist, das sich Musik und Glanz nennt. Aus Ost und West sind sie angereist, Berühmte und solche, die es zu sein glauben, einzig zu diesem Anlass, hierher, ins Zentrum der in ihren Köpfen noch längst nicht untergegangenen Habsburgermonarchie. In den teuersten Kreationen der Haute Couturiers von Paris und Mailand sind sie den Luxuslimousinen entstiegen. Durchs Blitzlichtgewitter der Fotografen sind sie über den roten Teppich geglitten, in Lack- und Stöckelschuhen, an den Schaulustigen vorbei zum Eingang des heiligsten Tempels der Oper, den es auf der Welt gibt. Die Kameras aller Länder haben sie erfasst, ihren Stolz und ihr Lächeln in die Wohnzimmer der Stauner und Neider von Tokio bis San Francisco übertragen. Nur schon die Namen der Kommentatoren füllen die Spalten der Klatschmagazine. Stars aus Hollywood fehlen ebenso wenig wie Größen aus Fußball, Politik und High Society.

 

Einer von ihnen, ein Wiener Bauunternehmer und Multimillionär, seine zahlreichen Ehen und Liaisons mit den hübschesten Frauen sind nicht nur in Österreich Legende, hatte in den Vorjahren Sophia Loren, Pamela Anderson, Sarah Ferguson, Paris Hilton und andere Trägerinnen bewunderter Namen in seine Loge geladen. Dieses Jahr sei Mischa Turow von ihm angefragt worden, war in den Medien kolportiert worden. Sie aber habe abgelehnt, gebe nichts auf Schein und Glamour. Wenn man dem, was über sie geschrieben und erzählt wurde, Glauben schenken kann, ist das von Neureichen und Emporkömmlingen sehnlichst erwartete Event, wie sie es nannte, ganz und gar nicht ihre Sache. Sie würde ohnehin schon genug in der Öffentlichkeit herumgereicht, hatte sie gesagt, wolle nicht noch mehr zum Objekt glotzender Begehrlichkeiten werden. Das aber ist sie in der Vorstellung der Menschen, wie wenig sie es auch wahrhaben will. Ob sie zum Opernball kommen würde oder nicht und in welcher Begleitung, ändert nichts daran. Nicht nur ihre herausragenden Leistungen auf dem Gebiet der Wissenschaft haben sie in den Mittelpunkt des Interesses gestellt. Auch ihre Jugend und ihr Sex-Appeal sind es, die sie zum Objekt der Bewunderung und Begierde gemacht haben. Überragender Geist und weibliche Schönheit sind eine seltene Kombination im Land geworden, aus dem die Nazis vor nicht allzu langer Zeit ihre Vorgängerinnen vertrieben oder umgebracht hatten. Nur die natürlich, deren Herkunft dieselbe wie die ihre war, auch wenn sie dem Glauben der Väter längst abgeschworen hatten. Doch ein Freund, Professor an der Universität wie sie, hatte Mischa Turow so lange bedrängt, so lange auf sie eingeredet, bis sie endlich nachgegeben und - wenn auch widerstrebend - eingewilligt hatte, ihn auf den Opernball zu begleiten. Immerhin war ihr das lieber gewesen als in der Loge des alternden Millionärs gelangweilt herumzusitzen und sich seine abgedroschenen Avancen anhören zu müssen. Keine ihrer Freundinnen hatte es verstanden. Jede von ihnen wäre noch so gerne an ihrer Stelle gewesen, hätte sich im Glanz des Krösusses und im Scheinwerferlicht gesonnt, das auf ihn und seine Begleiterin gerichtet sein würde.

 

Der Mann, der sie zum Besuch des Opernballs überredet hat, heißt Richard von Zehlendorff. Deutscher ist er, zehn Jahre älter als sie. Man sieht es ihm nicht an. Täglich trainiert er, rennt das Donauufer im zweiten Bezirk entlang, verausgabt sich im Kraftraum eines Fitness-Clubs, will seinen Körper jung und muskulös erhalten. Das, obwohl er ein Geistesmensch wie sie ist. Biochemie lehrt er an der Wiener Universität, im Haus der Forschung und Lehre, in dem Sigmund Freud immer noch als Unperson angesehen wird, zu der ihn die Nationalsozialisten nach ihrem triumphalen Einmarsch in Wien im März 1938 gestempelt hatten, weil er Jude wie Mischa Turow gewesen war. Zuunterst auf der Stufenleiter der Rassen - welch wahnwitzige Vorstellung - hatten sie ihn angesiedelt, während er auf der wahren des Geistes, die sie nicht kannten, zuoberst stand. Nichts galt sie den Übermenschen, für die die Nazis sich hielten. Doch das gehört der Vergangenheit an. Davon ist Mischa Turow überzeugt. Weder Gedanken noch Zeit verschwendet sie an sie.

 

Endlich ist es soweit. An Richards Arm schreitet sie die breite Marmortreppe der Oper hinauf, Treffpunkt all derer, die sich ein Stelldichein mit den Größen der Gesellschaft geben wollen, die nur herkommen, um unter ihnen zu sein, hoffen, hier ihren Ehepartner oder einen schwerreichen Liebhaber zu finden. Einen geeigneteren Ort dafür gibt es im Land der omnipräsenten Habsburger nicht, wenn man auf eine eheliche oder außereheliche Verbindung aus Liebe nur in zweiter Linie Wert legt.

 

Mischa ist nur wenig geschminkt. Sie trägt keinen Schmuck, nur ein bodenlanges Kleid, schwarz und schlicht. Die langen blonden Haare hat sie in der Dusche gewaschen, sie an der Luft trocknen lassen. Kein Föhn und kein Frisör hat sie in Form gebracht. Die anderen Frauen protzen mit glitzernden Klunkern, zeigen sich in extravaganten Roben, haben Hollywood-Frisuren. Ihre Wangen sind weiß gepudert, ihre Lider grün bemalt, ihre Wimpern schwarz getuscht, ihre Nägel und Lippen rot gestrichen. Trotzdem ist es Mischa Turow, die die Blicke aller auf sich zieht, die der Männer aus Verlangen, die der Frauen aus Neid. Obwohl sie es gewohnt ist, angestarrt zu werden, hat sie sich nie damit anfreunden können. Sie hasst die auf sie gerichteten Blicke, versucht, ihnen zu entkommen. Doch es gelingt ihr nicht, denn schon sind Reporter auf sie und den attraktiven Mann an ihrer Seite aufmerksam geworden. Sie fotografieren sie von allen Seiten und aus allen Blickwinkeln, bestürmen sie mit Mikrophonen, haben Fragen über Fragen. Zuerst freundlich, dann immer unwirscher bedeutet Mischa ihnen, aufzuhören. Doch die Bilder sind im Kasten, die sie für viel Geld verkaufen können. Schon morgen werden sie überall zu sehen sein, in Tageszeitungen, Magazinen und im Fernsehen, ob es den Abgelichteten passt oder nicht. Sie sind Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und als solche, sofern es nicht den strikten Intimbereich betrifft, vom Recht aufs eigene Bild ausgeschlossen, auf das jeder angeblich unwichtige Mensch Anspruch hat.

 

«Lass uns rasch an deinen Tisch gehen», bittet sie Richard, «damit wir nicht dauernd angeglotzt und angeblitzt werden.»

 

«Natürlich», antwortet er, «es sind nur noch ein paar Stiegen.»

 

Er hat einen Tisch für zwei in einem der oberen Ränge reserviert. Sie setzen sich. Die Logen der unteren Etagen beginnen sich zu füllen. Es gelingt Richard, einen vorbeihuschenden Kellner anzuhalten und Sekt zu bestellen. Kaum ist der Kellner gegangen, blickt er Mischa direkt in die Augen und fragt sie - ohne ein einleitendes Wort und ohne ihr seine Liebe zu gestehen:

 

„Mischa, willst du mich heiraten?“

 

Keine Vorgeschichte gab es zwischen den beiden, kein allmähliches Kennenlernen, kein sich Aneinandergewöhnen, nichts, das sie gemeinsam gelebt oder erlebt hätten, keine Zeiten der Vertrautheit oder des Vertrauens, keine in heimlichen oder verheimlichten Treffen aufgekeimten Gefühle. Keine Nacht hatten sie miteinander verbracht, sich immer nur flüchtig in der Universität gesehen, nur wenig Worte miteinander gewechselt, wenn man von den unverbindlichen Gesprächen bei Konferenzen und offiziellen Anlässen absieht und den Phrasen, mit denen Richard Mischa dazu überredet hatte, ihn an diesem Abend zum Opernball zu begleiten. Doch, und das ist nicht das Unerheblichste in diesem Moment der vollkommenen Überraschung, es gibt das Prickeln, das sich in ihr ausbreitet, das Erstaunen über die gänzlich unerwartete Frage, die Lust, die in diesem verrückten Moment in ihr aufkeimt, obwohl er keiner ihrer üblichen Sklaven ist. Gerade das aber lässt sie erschauern, sie hoffen, endlich die Liebe zu finden und zu erleben, die jeder Frau vergönnt ist, von der sie sich jedoch ausgeschlossen wähnt. Jeder anderen Frau wäre dieser plötzliche, gänzlich unmotivierte und unerwartete Heiratsantrag vollkommen verrückt vorgekommen. Jede hätte ihn mit einem ironischen Lächeln und einer läppischen Bemerkung abgetan. Sie aber nimmt ihn ernst, so ernst, als wäre er eine eben entdeckte neue Erkenntnis der Physik, die ihr keine Ruhe lässt. Sie verspürt ein nie gekanntes Gefühl der Aufgeregtheit, der Ungeduld und der Erwartung, ja der Freude. Von seinen Fingern, die die ihren fest und doch zugleich zärtlich umschließen, strömen Schwalle der Hitze in sie hinein. Ist es das nie gekannte Kribbeln, das sie mit einem Mal fühlt oder ist es nur Nervosität, die sein Antrag in ihr auslöst? Sie weiß es nicht, will es nicht wissen, genießt den Augenblick, die Spannung, die Spontaneität, die heißen Ströme in ihrem Leib, die ihr die körperliche Lust zu bereiten beginnt.

 

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Mann ihr einen Heiratsantrag macht, doch ausgerechnet von Richard hatte sie ihn nicht erwartet, schon gar nicht an diesem Abend, dem ersten, den sie gemeinsam verbringen, ohne sich je nähergekommen zu sein. Richard ist ein Mann, der keine Mühe hat, eine Frau für sich zu gewinnen und sei es nur für eine Nacht. Jeder weiß es in der Universität. Viele beneiden ihn darum. Zahlreiche Affären hat er gehabt, ohne je eine Beziehung einzugehen, die länger als ein paar Monate währte. Mischa ihrerseits hat bisher alle Anträge auf Verehelichung abgelehnt - es hatte nicht wenige gegeben - ohne sie ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Die Männer, von den sie kamen, die sich ihr als gleichwertig antrugen, Leben und Bett mit ihr teilen wollten, waren ihr im Geist weit unterlegen. Zudem, und das war nicht der unwichtigste Grund ihrer Ablehnung, hatte sie sich nicht vorstellen können, in einer Ehe die geschlechtliche Befriedigung zu finden, die ihr die unbekannten Männer gaben, bei denen sie ihren angeborenen Trieb nach Macht ungehemmt und auf grausamste Art austoben konnte, ohne Weiterungen, Konsequenzen oder Gefühlswirren befürchten zu müssen. Sie würden sich mit Sicherheit einstellen, daran zweifelte sie nicht, wenn sie es bei einem Mann täte, den sie näher kannte oder mit dem sie befreundet oder auch nur kollegial verbunden war. Das war der, den vielen in sie verliebten Männern unerklärliche Grund, aus dem sie bisher neben ihren sporadischen exzessiven Abenteuern mit Unbekannten, von denen niemand etwas wusste, keine echte Verbindung eingegangen war. Doch dieser Antrag unterscheidet sich von allen vorangegangenen, lässt ihre Zweifel und Vorsicht schwinden. Er kommt von einem Mann, der in derselben Liga des Intellekts wie sie spielt und der dieselben Blicke der Bewunderung wie sie auf sich zieht. Könnte er es sein, der ihr Heilung von der Krankheit des Sadismus bringen würde, unter der sie leidet? Die Hitze, die sie durchströmt, in den wenigen Augenblicken, seit er ihr den Antrag gemacht hat, breitet sich immer weiter in ihrem Körper aus. Sie scheint ihr ein Zeichen dafür zu sein, ein untrüglicher Vorbote kommenden Glücks.

 

Sie antwortete nicht, sieht Richard lange schweigend an, fragt ihn schließlich, um Zeit zu gewinnen, sich nicht zu schnell zu verkaufen, obwohl sie sich längst verschenkt hat:

 

«Liebst du mich denn, Richard?»

 

«Was für eine Frage», erwiderte er. «Ich liebe dich mehr, als ich je eine Frau geliebt habe, Mischa. Gerade deswegen will ich dich heiraten und mein Leben mit dir verbringen.»

 

Der zweite Satz seiner Antwort missfällt ihr.

 

«Für einen Moment hatte ich mir die Sache ernsthaft überlegt, Richard», meint sie, «aber nur aus Liebe will ich nicht mein ganzes Leben mit einem Mann verbringen. Dazu braucht es mehr, gemeinsame Interessen und vor allem geistiges Zueinanderpassen.»

 

Er aber lässt sich von diesem Einwand nicht entmutigen. Um keinen Deut verzieht sich seine Miene. Er behält sein Lächeln bei, seine Selbstsicherheit, seinen Charme. Es gefällt ihr. Vor Richard waren alle Männer, deren Anträge sie zurückgewiesen hatte, enttäuscht aufgestanden und gegangen oder dann hatte sich ihre aufgekratzte Stimmung von einer Sekunde auf die andere in tiefste Niedergeschlagenheit gewandelt, was den Abend mit ihnen in wortkarge Langeweile, einmal gar in ein Fiasko gegenseitiger Vorwürfe hatte münden lassen. Richard ist von anderem Schlag als seine Vorgänger. Das kurze Aufleuchten in ihren Augen ist ihm nicht entgangen, ebenso wenig wie ihr Zögern vor der Antwort. Irgendetwas sagt ihm, dass er die außergewöhnliche Frau, die ihm mit übereinandergeschlagenen Beinen gegenübersitzt, die er bewundert und begehrt, an diesem Abend doch noch für sich gewinnen würde, dass ihre Beine nicht übereinandergeschlagen bleiben würden. Nur mit Mühe kann er die Hand zurückhalten, die sich auf ihr Knie legen will.

 

Ein Moment der Magie und Nähe breitet sich zwischen den beiden aus. Er verdeckt die Geräusche um sie herum, lässt Menschen und Farben ineinander verschwimmen und in weite Ferne rücken, an den Rand dessen, was sie sehen und hören. Richard wiederholt seine Frage mit einem Unterton der Zärtlichkeit, aber auch der Bestimmtheit. Nie zuvor hat er eine Frau gedrängt. Nie hat es lange gedauert, bevor eine Frau, mit der er die Nacht verbringen wollte, ihre Lippen den seinen näherte und ihn küsste. Ganz besonders aber hat er nie einer Frau einen Heiratsantrag gemacht. Keine aber, mit der er bisher zusammen gewesen war, kam an Mischa Turow heran, auch nicht im Entferntesten. Sie allein ist das Risiko einer Ehe wert. Warum nur hat er diesen blöden zweiten Satz auf ihre Frage hinzugefügt, ob er sie lieben würde? Er ist auf sich selbst wütend, lässt sich aber nichts anmerken. Neben dem Verlangen nach dieser Frau sind es ja gerade ihre gemeinsamen Interessen, der hohe Geist, der ihnen beiden zu eigen ist, die Aussicht, nach dem Liebesakt, auf den er kaum noch warten kann, tiefgehende Gespräche mit ihr zu führen, die ihn an diesem großartigen Ort, mitten in der Wiener Staatsoper, spontan dazu bewogen haben, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Auf alle Fälle hat sie ihn nicht schroff abgewiesen, wie Kollegen von der Universität es ihm von ihren eigenen Erfahrungen mit ihr bedauernd berichtet hatten. Er war sicher, sie würde heute noch ihm gehören oder vielleicht war er es, der ihr gehören würde? Was macht das schon für einen Unterschied? Jedenfalls muss es noch heute sein, in dieser Nacht! Der Gedanke daran füllt seinen Kopf aus, lässt alles andere nebensächlich erscheinen.

 

Mittlerweile hat sich das große Opernhaus gefüllt. Unter das Geschwätz und Getrampel der Besucher, die von weit weg zu Mischa und Richard dringen, leise rauschend, wie durch einen Vorhang, mischen sich kurze, abgehackt endende Geigen-, Bratschen- und Posaunenklänge. Im Orchester werden die Instrumente ein allerletztes Mal gestimmt, so lange, bis jeder einzelne Ton glockenrein erschallt. Die schrillen Töne wecken die beiden aus ihren Tagträumen. Kein freier Platz in den Logen ist mehr zu sehen, außer in der noch unbesetzten Kaiserloge, die in der ungeliebten Republik notgedrungen zu der des bürgerlichen, rot- statt blaublütigen Bundespräsidenten geworden ist. Bereits drängen sich zu beiden Seiten im Parterre die Menschen, können den Einzug der hundertachtzig Debütantinnen in ihren weit ausladenden, luftig weißen Ballkleidern an den Händen ihrer Kavaliere in Frack und Mascherl, wie man in Wien sagt, kaum noch erwarten.

 

Noch bevor Richard weitersprechen, den ungeschickten Nachsatz von vorhin vergessen machen kann, ertönen lautstark Trompetenstöße. Sie kündigen die Ankunft des Kaiserstellvertreters an, des Bundespräsidenten. Ins Publikum grinsend erscheint er. An seiner Seite eine ältliche, schlecht gekleidete Frau, seine Gattin, die österreichische Variante einer First Lady. Ihre schwarzen Haare sind zu einem eigenartigen Turm aufgesteckt, was viele der Anwesenden zum Lachen hinter vorgehaltener Hand bringt. Unter dem obligaten, aber sehr verhaltenen Geklatsche begeben sich die beiden zur letzten noch freien Loge, der größten und bestplatzierten von allen. Umständlich setzen sich, winkten zaghaft ins Publikum. Es wirkt deplatziert. Obwohl sie nicht einmal ein fader Abklatsch des Kaiserpaares sind und die Anwesenden ihnen nur aus Höflichkeit und Respekt Beifall zollen, ist das Klicken der Fotoapparate zu hören. Das wilde Zucken der Kamerablitze aber hat aufgehört, denn nicht diese Bilder, sondern die, die gleich in viel größerer Zahl geschossen werden würden, wären den Zeitungen und Zeitschriften von Moskau bis New York viel Geld wert. Die Spannung im riesigen Saal ist mit Händen zu greifen. Alles wartet auf den Einzug und die Walzerschwünge der Jeunesse dorée Wiens, die das Publikum berauschen und mitreißen würden, wie keine anderen Tänze es vermögen. Gleich zu Beginn des Balls stellen sie seinen absoluten Höhepunkt dar, den Höhepunkt der bis fünf Uhr früh dauernden Festnacht, in der Johann Strauss, der unbestrittene Liebling der Wiener, alljährlich zu neuem Leben erwacht.

 

In der wilden Aufgeregtheit ihrer Brust, die flattert, als hätte sie eben einen Berggipfel erklommen, in der rastlosen Ungeduld ihrer Gedanken, die keinen Halt finden, fühlt Mischa, dass Richard mehr Verlangen und Erwartung in ihr auslöst als alle Männer, die sich bisher um sie bemüht hatten. Ist er wirklich anders als die anderen? Sie will es glauben, sehnt sich nach der großen Liebe, die sie nie gekannt hat, nach dem normalen Leben, das sie nie geführt hat.

 

Endlich ist es soweit. Achtzig junge Prinzen, die Schöße ihrer nur für diesen Tag geschneiderten Fracks fast bis zum Boden reichend, an Eleganz nicht zu übertreffen, die von der führenden Tanzschule Wiens in jeder noch so kleinen Kleinigkeit darauf vorbereitet worden sind, auf das größte Ereignis ihres eben erst begonnenen Lebens, führen ihre Damen, strahlend weiße Jung- oder Nichtmehrjungfrauen, deren Lächeln und Grazie die Menschen verzaubert, in den Saal. Sie nehmen Aufstellung, beginnen sich mit ihnen zur sinnvernebelnden Musik zu drehen, in atemberaubendem Gleichklang. Federleicht fliegen sie übers Parkett, als wären sie die schönsten Vögel der Lüfte, so als gehöre die Welt nur ihnen, als gäbe es nichts, das die Harmonie und den Rausch der Sinne stören könnte, in dem sie sich befinden.

 

Die atemberaubende Darbietung reißt die Menschen in der Oper mit, auch Mischa und Richard. Auf den Aufruf ‘Alles Walzer’ führt er sie auf die Tanzfläche. Sie gleicht einem Bienenhaus. Federleicht hält er sie im Arm, die schönste und grazilste aller Prinzessinnen, versetzt sie in eine Welt der Sphären, Klänge und Reize, die sie erregt wie keine andere. Das Zittern, die Lust und das Verlangen, die sie fühlt, übertrifft an Erregung alles, was sie bisher erlebt hat. Ein Schauer der Erwartung auf mehr, auf viel mehr, auf die Vereinigung mit dem Mann, den sie an ihrem Körper spürt, in dessen Armen sie durch die Luft fliegt, dessen Atem sie riecht, dessen Wangen sie an ihren spürt, dessen Geruch so männlich ist, dessen Blick nicht von ihr weicht, dessen Hände sie liebkosen, überkommt sie, heißer als je. Nie hat sie solch erotische Lust verspürt, nie solche Gefühle für einen Mann gehegt. Nun ist sie es, die darauf hofft, er würde sie nochmals um ihre Hand bitten oder wenigstens heute Nacht in sein Bett zerren. Sie muss diesen Mann haben, ihn in sich spüren, so rasch es nur geht, wenn es denn sein muss, auch um den Preis einer Heirat. Sie erscheint ihr mit einem Mal gar nicht mehr so abwegig. Im Gegenteil, sie sehnt sich nun geradezu auf sie, als gäbe es nichts Erstrebenswerteres in ihrem Leben. Mehr als eine Stunde lang dreht und wirbelt er sie auf der Tanzfläche herum. Mit jedem neuen Schwung steigern sich ihre Wollust und Ekstase. Der Wandel ihrer Gefühle und Gedanken bleibt ihm nicht verborgen. Er lässt seinen Händen den langersehnten Lauf, berührt sie an den intimsten Stellen. Niemand bemerkt es im Trubel der Tänze. Sie lässt es geschehen, genießt es, stöhnt unmerklich, gräbt auch ihre Finger in ihn. Wortlos und verschwitzt gehen sie an den Tisch zurück. Bevor sie ihn erreichen, drückt sie ihn in eine Nische an der Wand. Egal, ob Leute zusehen oder nicht. Sie presst ihre Lippen auf seine, küsst ihn mit aller Leidenschaft, derer sie fähig ist, lässt ihre Zunge tief in seinen Mund gleiten. Es ist das erste Mal in ihrem Leben, dass sie so etwas tut.

 

Früh am Morgen, im Penthaus angekommen, in das sie ihn mitgenommen hat, denkt sie nur daran, ihn so rasch wie möglich aufs Bett zu werfen, reißt sich und ihm die Kleider vom Leib, spürt in sich, fühlt die auf- und abschwellenden Wellen der Lust, kommt so schnell wie nie zuvor, wieder und immer wieder. Der Liebesakt wird zu einer Flut, die Mischa überspült wie keine anderer zuvor. Nie hätte sie gedacht, dass sie einen Mann derart begehren könnte, dass sie auf die Art ganz normaler Frauen, ohne sich an Sklaven vergehen zu müssen, zum Gipfel des Glücks gelangen könnte. Was sie sich insgeheim immer erhofft hat, ist unvermittelt und unerwartet, Wirklichkeit geworden, ist ohne jedes Vorzeichen aus dem Reich der Phantasie und des Wunschdenkens in die Realität gestiegen, in eine herrliche, greifbare Realität, die neben ihr keuchend und außer Atem auf dem Bett liegt. Zum ersten Mal hat sie den höchsten Taumel der Sinne erlebt, Lust und Befriedigung verspürt, ohne einen Mann quälen und foltern zu müssen. Ja, mit Richard ist sie rascher und öfter zum Orgasmus gekommen als mit jedem ihrer anonymen Sklaven. Euphorie breitet sich in ihr aus. Wonne und Zufriedenheit durchfließen ihre Körper. Sie schwebt auf einer Wolke, weit über dem Alltag und allem Bisherigen. Sie ist angelangt, wo sie immer hinwollte, vielleicht sogar noch weiter oben, ganz oben, im Himmel der Lust und des Glücks.

 

Kaum ist Richard gegangen, überkommt sie aufs Neue die Sehnsucht nach ihm, der verzehrende Wunsch, ihn nochmals in sich zu spüren, das Zucken und Wogen des unaufhörlichen Infernos wieder eine wilde Jagd durch ihren Körper treiben zu lassen, die Verzückung abermals zu fühlen, die nur er ihr zu bereiten vermag. Geradezu süchtig geworden ist sie nach Richard und dem, was er mit ihr getan hat, beginnt, Gefühle für ihn zu entwickeln, die sie hatte immer vermeiden wollen, um Weiterungen und Folgerungen aus dem Weg zu gehen, sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Gerade diese aber sind es jetzt, die sie zu Richard hinziehen, die ihr schon kurz, nachdem er gegangen ist, geradezu physische Schmerzen vor ungestilltem körperlichem Verlangen bereiten. Sie weiß nicht, dass es keine Gefühle der wahren Liebe sind, der innigen Zuneigung und der echten Verbundenheit, die sie für Richard hegt. Es sind Gefühle des Rausches, des immer wiederkehrenden, zwanghaften Addikts, wie man ihn auch beim übermäßigen Konsum von Alkohol, Drogen oder beim Glücksspiel verspürt. Sie hält ihren Rausch, denn nichts anderes ist es, für ein unzerreissbares Band, das sie auf ewig mit ihrem neugefundenen Geliebten verbinden würde.

 

Zwei Monate danach heiraten sie. Man kann sich das Erstaunen der Freunde Mischas und Richards vorstellen. Alle beneiden den Glückspilz, der es geschafft hat, das Herz der unnahbarsten, schönsten und klügsten Frau Wiens zu erobern.

 

Weil er zu einer seit langem vereinbarten Vortragsreise in die USA und nach Asien fliegen muss, haben sie vor der Heirat nur noch einmal Gelegenheit, miteinander zu schlafen. Auch diese Nacht beglückt Mischa wie die erste. Erst am Tag der Hochzeit kommt Richard zurück. Auf dem Standesamt in Hietzing, unweit von Schloss Schönbrunn, in dem der anfänglich so begehrte Franz Josef seine ihm angetraute Cousine Sissy immer mehr vernachlässigt und unglücklich gemacht hat, geben sie sich das Jawort, ohne Familien, dafür aber mit umso mehr Freunden und Kollegen der Universität. Es ist ein sonniger Tag. Nicht die kleinste Wolke bedeckt den Himmel über Wien. Es scheint ihnen ein Omen für eine ungetrübte Zukunft. Am Ausgang des Gebäudes erwartet sie eine unüberschaubare Menge, jubelnde Gaffer, die sich bei solchen Anlässen wie aus dem Nichts zusammenrotten, zerfressen von Neid und Eifersucht, die sie als Bewunderung ausgeben, und natürlich die Journalisten- und Fotografen. Keine Sekunde lassen sie das prominente Paar aus den Augen, begleiten und verfolgen die beiden mit ihren Kameras und Mikrophonen, wo sie auch hingehen, lassen sich nicht abschütteln, wie sehr Mischa und Richard es auch versuchen. Erst am Eingang des traditionsreichen Hotels gegenüber dem Tiergarten, der ehemaligen kaiserlichen Menagerie, in dem das Hochzeitsfest stattfinden wird, ist Schluss. Nur noch der bestellte Videofilmer darf hinter ihnen durch die Tür.

 

Die Feier, ausgelassen und trotz der vielgerühmten Seriosität der Gäste von wenig Hemmungen begleitet, dauert bis weit in den Morgen. Nicht wenige Ehen lässt sie in dunklen Neben- und Hinterzimmern und in lauschigen Nischen im Garten des Hotels zerbrechen. Mischa und Richard hören die Reden, Lobhudeleien, Sketches und Glückwunschbotschaften nicht wirklich, sinnen nur darauf, so rasch wie möglich nach oben in ihr Zimmer zu kommen, um den Freuden zu erleben, auf die sie seit Richards Abreise vor drei Wochen hatten warten müssen. Schon nach dem zweiten Gang des Festmahls verabschieden sie sich, was den Ausschweifungen der Gäste aber keinen Abbruch tut, ja sie noch begünstigt. Wenn man vom Brautpaar absieht, das seine körperliche Vereinigung in vollkommener gesellschaftlicher Legalität vollzieht, ist es eine Nacht der allgemeinen Untreue, eben eine Hochzeitsnacht wie viele, zügel- und hemmungslos. Auch wenn die Dinge, die Mischa und Richard nach dem Mahl treiben, nicht sadomasochistischer Natur sind, so haben sie doch nichts Zärtliches an sich, wenn man von innigen Küssen und Umarmungen absieht, die aber nur Ausdruck von Leidenschaft, nicht von Liebe sind, wie sie fälschlicherweise annehmen. Viele meinen, sexuelle Erfüllung sei die beste Voraussetzung für den Bestand einer Ehe, eine Meinung, die sie beide uneingeschränkt teilen.

Der Aber Verlag schreibt einen Kurzgeschichten-Wettbewerb zum Thema 'Aber' aus.

 

10 prämierte Texte werden im Band 'ABER - die 10 besten Kurzgeschichten 2021' mit Photos und Kurzbiographien der Autoren oder Autorinnen veröffentlicht.

 

Der Autor oder die Autorin des erstplatzierten Textes wird mit mit dem ABER LITERATURPREIS 2021 ausgezeichnet, erhält einen Barpreis von 1000 Euro und ein Vertragsangebot des ABER VERLAGS.

 

Die übrigen neun Autoren oder Autorinnen können ebenfalls Verträge erhalten, sofern die Jury zustimmt.

 

MItglieder der Jury sind:

 

 

  • Dr. Edita Koch (EXIL VERLAG, Bundesverdienstkreuzträgerin)
  • Slobodan Despot (EDITIONS XENIA, Schriftsteller, Philosoph und Literaturjournalist)
  • Rainer Vollmar (ex SUHRKAMP VERLAG, Lektor)
  • Dr. Manfred Hiefner (MÜNSTER VERLAG)
  • Dr. Werner Abel (Historiker der TU Chemnitz)
  • Dr. Roman Grinberg (Schriftsteller, Komponist, Pianist und Theaterautor)
  • Dotschy Reinhardt (Schriftstellerin und Musikerin, Vorsitzende des Landesrats der Sinti und Roma Berlin) 
  • Gerhard Haase-Hindenberg (Schauspieler, Regisseur, Schriftsteller und Theaterautor)
    Prof. Dr. Gabriel Strenger (Psychologe und Publizist, Jerusalem)
  • Peter Wyss (ehem. Stiftungspräsident der Stadtbibliothek Chur)
  • Alexander Günsberg (ABER VERLAG, Schriftsteller)

Jedes Jurymitglied wählt 10 Texte aus und benotet sie von 1 bis 10. Die Prämierung erfolgt in der Reihenfolge der  Gesamtnoten.

 

Teilnahmeberechtigt ist jedermann außer den Mitgliedern der Jury.

 

Die Texte müssen zwischen 5.000 und 10.000 Wörter enthalten. Es kommt aber nicht auf die Länge eines Textes an, sondern auf Inhalt. Spannung, Originalität, literarische Qualität, Individualität der Charaktere und einen überraschenden Schluss. Langeweile, Abgedroschenheit, Floskeln, Gemeinplätze und typisierte Menschen schätzen wir nicht.

 

Rassistische, diskriminierende, diffamierende oder beleidigende Texte werden nicht berücksichtigt.

 

Alle prämierten Texte werden von uns kostenlos lektoriert und korrigiert. Fürchten Sie sich daher nicht vor Rechtschreibe- oder Syntaxfehler. Es sollten allerdings nicht allzu viele sein.

 

Senden Sie Ihren Text bitte nicht per Post, sondern ausschließlich per E-Mail an info@aber-verlag.com. Sollten Sie innert 7 Tagen keine Empfangsbestätigung erhalten, fragen Sie bitte nach. Es kommt vor, dass Texte im Spam-Ordner verschwinden oder von Virenschutz-Programm gelöscht werden.

 

Jeder Text muss einen stichwortartigen Lebenslauf (3 oder 4 Zeilen genügen), die Adresse, das Alter, den Beruf, die Ausbildung und ein Photo mit gut erkennbarem Gesicht des Autors oder der Autorin enthalten.

 

Einsendeschluss ist der 30. November 2020.

 

Die Preisvergabe erfolgt am 1. Tag der Leipziger Buchmesse 2021 (18. März). Alle 10 Gewinner werden zur Vergabe im Rahmen einer kleinen Feier nach Leipzig eingeladen. Die Preisübergabe ergfolgt durch ein Jurymitglied.

 

 

 

ABER VERLAG
CH-8832 Wilen bei Zürich, Schlyffistrasse 41

CH-1950 Sion, rue de la Dixence 49

0041 79 353 09 00

info@aber-verlag.com
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